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letzte Änderung 22.01.2009
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Wenn relevante Fakten ignoriert werden

Hintergrund
22. Januar 2009

Ungleiches Maß: Wenn relevante Fakten ignoriert werden


Die Fronten waren verhärtet. An Dialog war nicht im Entferntesten zu denken. Im Gegenteil, einige Gäste der Talkrunde bei "Hart aber fair" am Mittwochabend im Ersten Programm des deutschen Fernsehens offenbarten eine fatale Geschichtsklitterung, die nicht nur zu Urteilen, sondern auch zu Verurteilungen führen musste. "Blutige Trümmer in Gaza – wie weit geht unsere Solidarität mit Israel?" lautete das Thema.

"Wenn Palästinenser Zivilisten töten, spricht man von Terroristen. Wenn es die Israelis tun, von Selbstverteidigung." Der Satz des bekannten Fernsehjournalisten Ulrich Kienzle verdeutlicht wie kaum ein anderer, wie Argumente und Gegenargumente unter den Gästen von Moderator Frank Plasberg aufeinanderprallten. Kienzle nämlich wollte damit sagen, wie ungerecht es seiner Ansicht nach sei, dass Israel überhaupt den Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen begonnen habe.

So einfach ist das für den Nahostexperten, der mit dem Satz einem demokratischen Staat das Recht abspricht, gegen Terror-Organisationen vorzugehen. Fatal ist es auch, dass ein erfahrener Kienzle so spricht – und nicht ein 14-jähriger Schüler, der von Sechs-Tage-Krieg und dem erklärten Hamas-Ziel, Israel zu vernichten, noch nie etwas gehört hat. Und überhaupt, so meinte Kienzle an anderer Stelle, sei Israel ein Land, das immer wieder zeige, wie wenig es zum Frieden mit Arabern bereit sei.

Relevante Fakten ignoriert

Die "Hart aber fair"-Ausgabe, die im Ersten am Mittwochabend lief, war jedoch nicht alleine in Sachen Kienzle ein Augenöffner. Allen voran der Islamwissenschaftler Udo Steinbach, der von 1976 bis 2007 das Deutsche Orient-Institut in Hamburg leitete. Derzeit lehrt er am Zentrum für Nah- und Mitteloststudien der Philipps-Universität Marburg. Steinbach meinte nicht nur, Israel demütige fortwährend die Würde der Palästinenser – womit er gänzlich mit dem ehemaligen Bundesarbeitsminister Norbert Blüm einig war, der ebenfalls immer wieder darauf hinwies, an welchen Stellen und wie oft Palästinenser von israelischen Soldaten kontrolliert und damit gedemütigt würden.

Nein, Steinbach legte in der Sendung immer wieder mit scharfen Bemerkungen nach, für die er längst bekannt ist. Etwa jene: "Wir müssen endlich die Erinnerung an unsere Vergangenheit von der Politik heute trennen." Beinahe schon legendär ist Steinbach für diese Forderung, die er mit unterschiedlichen Formulierungen immer wieder anbringt und die vehementes Kopfnicken unter all jenen hervorruft, die dem heutigen Staat Israel schon immer einmal eine gehörige Ohrfeige geben wollten, sich bislang jedoch nicht recht getraut haben. Steinbach macht vor, wie solche verbalen Schläge ausgeteilt werden: Indem man sich nicht nur der Vergangenheit Deutschlands entledigt – und damit der Politik aller Bundespräsidenten und Bundeskanzler Deutschlands seit 1945 wiederspricht –, sondern auch, indem relevante Fakten ignoriert werden.

"Wie würde Deutschland auf anhaltenden Terror reagieren?"

Die Aufgabe, auf relevante Fakten hinzuweisen, übernahmen bei "Hart aber fair" zum einen Michel Friedman, heute Fernsehmoderator und ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, und zum anderen der ehemalige Botschafter Deutschlands in Israel, Rudolf Dressler. Nach der Auslassung Kienzles über die "palästinensischen Terroristen" und die Selbstverteidigung Israels stellte Dressler die berechtigte Frage, wie sich Israel denn verhalten solle, wenn Hamas-Terroristen "Frauen, Kinder und Greise als menschliche Schutzschilde" missbrauche. Und Friedman fragte, ob die Bundeswehr bei ihrem Einsatz in Afghanistan nicht das Recht habe, nach einem Selbstmordanschlag von Al-Kaida-Terroristen gegen jene Unterstützer des Terrors vorzugehen. Antworten auf die Fragen gaben weder Kienzle noch Steinbach noch Blüm. Lediglich mit einem "Das kann man nicht vergleichen" versuchte Kienzle die Frage ins Absurde zu führen.

Die größte Bereicherung der Talkrunde war in allen lauthals geführten Debatten der SPD-Politiker Dressler. Er berichtete pointiert davon, wie die Situation in Israel aus deutscher Warte gesehen werde – nämlich selektiv, einzig anhand der Fernsehbilder und Nachrichten. In die Lage der Israelis, die als einzige Demokratie im Nahen Osten seit ihrer Gründung fünf Angriffskriege durch arabische Staaten überstehen mussten, könne sich kaum ein Deutscher hineinversetzen. Dressler erinnerte daran, wie paralysiert ganz Deutschland im April 2002 nach dem Amoklauf eines Schülers in einem Erfurter Gymnasium war - und stellte fest, dass Israel in seiner Zeit als Botschafter in den Jahren 2001 bis 2005 solche Attentate "im Schnitt alle zehn Tage erlebt" habe. Die sich daran anschließende Aufforderung, doch bitteschön zu bedenken, wie sich Deutschland angesichts eines anhaltenden Terrors verhalten würde, quittierte Norbert Blüm doch tatsächlich mit der entrüstenden Aussage an Dressler, sich doch seine "billige Pseudo-Psychologie" zu sparen.

Die Debatte hat gezeigt, wie sich Meinungsmacher verhalten, die bewusst Fakten ignorieren – wie Israels Existenzkampf angesichts einer Vernichtungsgruppierung wie der Hamas, wie Israels Kämpfe gegen angreifende arabische Staaten, wie die daraus resultierende Besetzung von Gebieten, die Israel in seinen Verteidigungskriegen erobert hat. Gleichsam hat Israel Frieden mit Ägypten geschlossen, auch mit Jordanien, hat sich aus dem Sinai und Gazastreifen zurückgezogen, ist Schritte des guten Willens auf Araber und Islamisten zugegangen. Doch all diese Fakten werden nicht auf die Waagschale gelegt - wenn mit ungleichem Maß gemessen werden soll. Steinbach, Kienzle und Co. haben das am Mittwoch im deutschen Fernsehen eindrücklich vorgeführt.

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