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letzte Änderung 23.12.2008
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Mohammed in Jerusalem

Mohammed in Jerusalem

"Dort unten… sehen Sie die beiden Löcher am Eck der Mauer? Die sind miteinander verbunden. Dort unten hat der Prophet Mohammed sein Wunderpferd Al-Buraq angebunden, bevor er in den Himmel aufgefahren ist." Der jüdische Reiseführer Amir Cheschin aus Maale Adumim, der größten Siedlung im israelisch besetzten Judäa, erklärt, warum der Haram A-Scharif – von Juden und Christen gemeinhin "Tempelberg" genannt – für Muslime so wichtig ist.

Der Koran erzählt in Sure 17 unter der Überschrift "die Nachtfahrt", wie Allah "seinen Diener des Nachts entführte von der heiligen Moschee zur fernsten Moschee, deren Umgebung wir gesegnet haben" (Sure 17,1). Die "heilige Moschee" ist die Kaaba in Mekka. Die "fernste Moschee" – arabisch "Al-Aqsa" – bezeichnet nach islamischer Tradition das Gebäude am Südrand des Jerusalemer Tempelbergs, das heute noch verdächtig der baulichen Gestalt einer byzantinischen Basilika gleicht. Am 17. Rabi Al-Awwal im Jahr vor der Flucht Mohammeds von Mekka nach Medina – mit dem die islamische Zeitrechnung beginnt – soll also der Gründer des Islam von Mekka nach Jerusalem geritten sein – eine Entfernung von immerhin 1.240 Kilometer.




Schon damals, als Mohammed seinen Landsleuten von seiner Nachtreise erzählte, kam das den Zuhörern unglaubwürdig vor. "Dies ist nun wirklich unmöglich!", meinten sie, "Die Karawane braucht einen Monat von Mekka nach Syrien und wieder einen Monat für den Rückweg. Wie will dieser Mohammed beides in einer Nacht tun!" Doch Al-Buraq war ein Wundertier. Die islamische Überlieferung weiß: "An den Schenkeln hatte es zwei Flügel, mit denen es seine Hinterbeine vorantrieb." So konnte das weiße Reittier, "halb Maultier halb Esel", seinen Huf bei jedem Schritt so weit setzen, wie sein Blick reicht.




An der Westmauer des Haram A-Scharif hat Mohammed dann, wie gesagt, seinen strahlend weißen Maultier-Esel Al-Buraq festgebunden – weshalb die "Klagemauer" bis heute von Muslimen "Al-Buraq" genannt wird. Begleitet von Dschibril, der traditionell mit dem Engel Gabriel identifiziert wird, wurde Mohammed in Jerusalem von seinen Prophetenvorgängern Abraham, Moses und Jesus – arabisch "Ibrahim", "Musa" und "Isa" – empfangen. Als ihr Vorbeter soll er dann an traditionsreicher Stätte mit ihnen gebetet haben.




Eher peinlich für den heutigen Konflikt um Jerusalem ist die Tatsache, dass die 17. Sure nicht nur die Bezeichnung "Die Nachtfahrt" trägt, sondern in manchen Koran-Ausgaben unter der Überschrift "Die Kinder Israel" steht. In den Abschnitten 103 und 104 erzählt der Koran, wie der Pharao die Kinder Israel "aus dem Land verscheuchen" wollten. "Da ließen wir ihn und alle, die mit ihm waren, ertrinken", fährt der heilige islamische Text fort: "Und nachdem er nicht mehr da war, sagten wir zu den Kindern Israels: ‚Nehmt nun im Land Wohnung! Wenn dann das Versprechen mit dem Jenseits in Erfüllung geht, bringen wir euch alle miteinander herbei." Wenig populäre "islamische Zionisten" berufen sich auf diesen Text, um zu beweisen, dass auch der Koran das Recht der Juden auf das Land Israel bestätigt.




"Also, historisch gesehen, war Mohammed gar nie in Jerusalem", meint Amir Cheschin. Auch die spätere Frau des Propheten, Aischa, wusste vor Jahrhunderten: "Der Körper des Propheten wurde in jener Nacht nicht vermisst, sondern Allah ließ nur seinen Geist die Nachtreise machen." "Aber das ist gar nicht so wichtig", beschwichtigt der israelische Reiseleiter. "Entscheidend ist heute, dass eine Milliarde Muslime davon überzeugt sind, dass Mohammed hier war, von hier zum Himmel aufgefahren ist und dort den Koran empfangen hat."




Vollkommen ernst erzählt der israelische Reiseleiter das alles einer Gruppe von ausländischen Journalisten, die sich darüber freut, das Innere der heiligen islamischen Gebäude auf dem Haram A-Scharif betreten und fotografieren zu dürfen. Auch dass die Südwestecke der Tempelumfassungsmauer aus der Zeit des Königs Herodes und damit die Stelle, an der Mohammed Al-Buraq angebunden haben soll, zu der Zeit, als der Islam das Heilige Land eroberte, bereits meterdick vom Schutt des Tempels bedeckt war, den es nach amtlicher Auffassung der islamischen Verwaltung des Haram A-Scharif niemals gegeben hat, ist vollkommen nebensächlich.




Dass der jüdische Siedler damit nicht nur das Geschichtsverständnis des Islam auf den Arm nimmt, sondern auch seine eigene demokratische Überzeugung, bleibt unausgesprochen. Immerhin betont nicht nur die humanistisch geprägte westliche Welt, dass "Stimmenmehrheit" "des Rechtes Probe" ist – was der schwäbische Dichter Friedrich Schiller einmal angezweifelt hat. Auch die überwiegende Mehrheit der orthodox-jüdischen Rechtsgelehrten vertritt heute die Ansicht, dass man sich dem Mehrheitsentscheid beugen solle – und begründet das mit einem Zitat aus 2. Mose 23, Vers 2: "Du sollst der Menge nachgeben." Dass der biblische Textzusammenhang sagt "Du sollst der Menge nicht auf dem Weg zum Bösen folgen und nicht so antworten vor Gericht, dass du der Menge nachgibst und vom Rechten abweichst" ist orthodoxen Juden heute offensichtlich so gleichgültig wie der Mehrheit, die in Europa und Amerika das Sagen hat.




Nun ja, "wer rechtgeleitet ist, der ist nur rechtgeleitet zu seinem eigenen Besten, und wer irregeht, der geht irre allein zu seinem eigenen Schaden" meint Allah in der Nachtfahrt-Sure 17, Abschnitt 15. Und vielleicht hat der Koran da gar nicht so Unrecht.



Von: Johannes Gerloff

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