Der Massai und die Travellers (Reisenden)
Nikki van der Gaag trifft drei Personen, deren Nomadische Lebensweise mehr Gemeinsamkeiten hat, als sie jemals gedacht hätten.
„Willkommen Bruder, willkommen – wir dachten, Du wärest größer.“ Wärmewellen eines Holzfeuers umfangen uns, als wir uns im Wohnwagen zusammendrängen. Alles ist makellos sauber, mit Ornamenten verziert. Gemustertes Porzellan glänzt hinter polierten Glasschränken. Gehäkelte Hüllen verbergen geschickt zwei Ghettoblaster. Und überall sind Spiegel, die unsere Begegnung reflektieren und auszuweiten scheinen.
Dies ist ein ungewöhnliches Treffen, ein Gespräch zwischen Peter, einem Massai aus Kenya und zwei Britischen Travellers (Reisenden). Sakie und Anna leben in einem Wohnwagen inmitten eines Industriegebiets in der Stadt Leeds.
Sie sind hier, weil sie sich für die jeweiligen Traditionen des anderen interessieren. Auch wenn sie aus unterschiedlichen Ländern kommen, sind beide, der Massai und die Travellers Nomaden. Beide erfahren Diskriminierung von der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft, und beide leben in Kulturen, die enorme Veränderungen durchmachen.
Aber, das Treffen birgt auch ein Risiko: vielleicht haben sie sich ja gegenseitig gar nichts zu sagen. Vielleicht gibt es ja einfach viel zu viele Unterschiede zwischen ihnen, als dass gemeinsame Gefühle oder Erfahrungen auftauchen könnten.
Das Gespräch beginnt langsam, zögerlich, mit der Ungeschicklichkeit von Menschen, die sich nie zuvor begegneten.
Peter erzählt ein wenig über sein Volk in Kenya: „wir Massai werden langsam in eine Lebensweise gedrängt, die nicht unserer eigenen entspricht. Die Regierung will uns davon abhalten, herumzureisen, und nimmt uns unser Land weg. Es gibt viele Vorurteile gegen umherziehende Viehhirten im Allgemeinen und insbesondere gegen Massai. Die Menschen halten immer noch die Massai für unfreundlich, faul und unwillig, sich zu verändern. Sie behandeln uns nicht als Gleiche. Wenn ich die Straße entlanggehe, schreit jemand laut: “Hey Massai“, anstatt mich höflich anzusprechen.“
Sakie schüttelt den Kopf. „Ich erinnere mich daran, dass ich fünf oder sechs war. Wir zogen die Straße entlang ein paar Meilen außerhalb der Stadt, und wir wurden mit Steinen beworfen.“ „Ja,“ fügt Anna hinzu, sogar jetzt noch ist es schwerer für uns, Arbeit zu bekommen, als für „Sesshafte“. Kürzlich bewarb ich mich für eine Arbeit als Glühbirnen-Packerin und der Manager sagte: „Rufen Sie mich am Freitag an. Ich bin sicher, Sie kriegen den Job.“ Als ich ihn anrief, sagte er mir, sie hätten den Job jemand anderem gegeben. Ich kenne aber ein Mädchen dort, sie erzählte mir, dass das nicht stimmt. Es ist einfach so, dass er herausgefunden hatte, wo ich lebe - er fand heraus, dass ich eine Reisende bin, und er wollte mich deshalb nicht einstellen.“ Sie zögert einen Moment und fügt dann mit einem Lächeln und ironischem Lachen hinzu: „In jedem gibt es gute und schlechte Seiten, nicht wahr? Ich bekam schließlich einen anderen Job, ich verpackte Popcorn!“
Jetzt geht die Diskussion erst richtig los. Von „Diskriminierung“ kommen sie zu den „Traditionen“ und zu ihren Überzeugungen in Bezug auf „Land“.
„Für uns Massai,“ sagt Peter, „bedeutet das Land Leben“. Aber, niemand kann es allein besitzen. Das Land gehört Allen.“
Sakie stimmt zu. „Bei uns sagt niemand: , „Dies gehört mir und das gehört Dir.“
Das Land der Travellers ist sowieso meist Regierungsland. Wir würden normalerweise kein Land kaufen, aber, wenn wir es tun, gehört es der ganzen erweiterten Familie.“
Beide Kulturen legen großen Wert auf Familienverbände und den Rückhalt, die Unterstützung, die sie gewährt.
Anna drückt das so aus: „ Immer wenn irgendwas passiert, ist jemand in der Nähe.“
Und, sie finden Gemeinsamkeiten in ihrer Einstellung zu Tieren als wichtigem Teil ihres Lebens. „Für die Massai,“ sagt Peter, „ist ein Leben ohne Tiere nicht lebenswert.“ „Ja, das ist richtig,“ sagt Peter in plötzlichem Wiedererkennen.
Er schaut mich an und mit einem glücklichen Seufzer vertraut er mir an: „Ach, ich könnte den ganzen Tag zuhören, was dieser Mann zu sagen hat.“
Es folgt nun eine lebhafte Diskussion über unterschiedliche Fleischarten und wie sie zubereitet werden können. Sakie wird plötzlich sehr ernst. „Kocht ihr den Schafs-Balg?“
Peter guckt verständnislos: „Balg?“ „Du weißt, das ist der Magen vom Schaf, mit dem Grass und allem darin.“ (Anna und ich, beide Vegetarier, schnitten uns gegenseitig Grimassen )
„Ja! Das tun wir! Wir kochen ihn mit Kräutern…! Peter beginnt eine lange Erklärung, wie die Massai ihn kochen. Sakie sagt stirnrunzelnd: „ Tja, scheint nicht so verschieden zu sein von unserer Zubereitungsweise. Es ist köstlich, nicht? Ihr solltet es mal ausprobieren mit einigen Kartoffeln, Karotten und Zwiebeln.“
Jetzt ist Sakie total gefesselt. Er erklärt, wie wichtig ihm die Tradition ist, wie er sich selbst sieht als Wächter der alten Lebensweisen (old ways..) seines Volkes, der Kalderash.
„Vor langer Zeit (in olden times…) kamen wir herüber mit Pferden. Davon lebten wir. Die Kalderash kamen aus Indien, vor vielen tausend Jahren. Wir sind ein alter Volksstamm.
Bevor meine Vorfahren hierherkamen, nachdem sie Indien verlassen hatten, bereisten sie jeden Winkel der Erde. Ich spreche immer noch Sanskrit, allerdings ist es sehr altes Sanskrit.
Das ist die Sprache, die ich geerbt habe. Kannst du für sie „Kalderash“ buchstabieren, Anna?
Wißt ihr, Anna hat Lesen und Schreiben gelernt, ich aber nie.“
Das Gespräch kommt auf Regierungen und staatliche Unterstützungen. Die Regierungen in beiden Ländern, in Britannien und in Kenya, wollen, dass die Massai und die Travellers sesshaft werden. Sie sind nicht bereit, Leuten eine Grundversorgung zu gewähren, die dann einfach „ihre Pflöcke herausziehen“, ihre Zelte abbrechen, und weiterziehen.
Den Travellers sagt man nach, sie würden dann einfach ihren Abfall herumliegen lassen.
Als ich Anna dabei zuschaute, wie sie ordentlich die gebrauchten Tee-Beutel in einer Plastiktüte verstaute, dachte ich an all die Mülltüten, die mein eigener Haushalt jede Woche produziert. Wie machen es denn wohl die Travellers mit all dem Abfall, wenn es keinerlei reguläre Müllabfuhr gibt, wunderte ich mich.
„Wir verbrennen unseren Abfall. Aber, Du kannst Dir vorstellen, wie das ist, wenn uns eines morgens ohne Vorwarnung Behördenvertreter zur Abreise auffordern. Die Kinder von der Schule abzuholen und alles einzupacken ist dann viel wichtiger, als den Abfall zu verbrennen.“
Sakie hat das Gefühl, dass sich einiges verbessert hat für die Travellers seit seiner Kindheit. Aber, er sieht nicht besonders hoffnungsfroh in die Zukunft: „Wir haben seit Generationen so gelebt wie jetzt. Aber, alle guten Dinge enden irgendwann. Ich denke, meine Enkelkinder werden in Häusern leben. Ich werde es versuchen und unsere Traditionen an mein Kind weitergeben, aber ich glaube nicht, dass sie für immer bestehen werden. Junge Leute müssen ihre eigenen Chancen im Leben ergreifen und verwirklichen. Ich weiß nur nicht, wie wir unseren Lebensunterhalt verdienen sollen in Häusern, weil wir ein Stück unbebautes Land um uns herum brauchen, um unsere Art Arbeit auszuüben, den Altwarenhandel z.B., und etwas in der Art.“
Peter nickt zustimmend. „Auch unter den Massai ist Veränderung unvermeidlich,“ räumt er ein. „Kulturelle Werte verändern sich. Die Massai der Zukunft werden sich unterscheiden von den Massai der Vergangenheit. Aber, wir benötigen eher Hilfe, um diese Veränderung zu verstehen, als das man sie (die Veränderung)uns aufzwingt. Wenn der Entwicklungsprozess nicht die Umgebung unterstützt, in der wir leben, wird es eine Kattastrophe geben.
Wir müssen uns verändern können auf unsere eigene Weise, in unserem eigenen Rhythmus.“
Ab und zu im Verlauf der Diskussion wirft Sakie erneut eine aufgeregte Frage ein in der Art: „Wie nennen sie das-und-das in Deiner Sprache, Bruder?“ Ein Lächeln erhellt Peters Gesicht, wenn er langsam darauf antwortet. Gewöhnlich, zwangsweise, ist die Sprache völlig unterschiedlich. Aber gelegentlich erkennt Sakie ein Wort, auch wenn es etwas anderes meint.
Der endgültige Triumph kommt, wenn er Peter nach dem Wort für „Tee“ fragt.
Peter antwortet, dass der Tee aus Indien zu den Massai kam und dass sein Volk deshalb das Indische Wort „chai“ benutzt. Sakie schlägt sich auf die Oberschenkel. „ Aber, das ist genauso wie bei uns.“
Sakie lehnt sich befriedigt zurück. Er würde das nächste Flugzeug nach Kenya nehmen, würde ihm jemand die Chance dazu bieten.
New Internationalist 1995
Kommentar:
Diese interessante Begegnung fand schon im Jahre 1995 statt, hat aber nichts an Aktualität eingebüßt, wie ich finde, weshalb ich sie Euch auch nicht vorenthalten wollte.
Es grüßt Euch *pinklady
Hier ist der englische Originaltext:
The Maasai and the Travellers
Nikki van der Gaag meets three people whose nomadic background
gives them more in common then they ever imagined.
‘Welcome, brother, welcome – we thought you’d be taller.’ A woodfire gives out gusts of warmth as we crowd inside the trailer. Everything is spotless, ornate. Patterned china gleams through polished glass cupboards. Crocheted covers neatly conceal two ghetto-blasters. And everywhere there are mirrors that seem to reflect and expand our encounter.
This is an unusual meeting, a conversation arranged between Peter, a Maasai from Kenya and two British Travellers (Gypsies). Sakie and Anna live in a trailer in the middle of an industrial area in the city of Leeds.
They are here because they are interested in each other’s traditions. Although they come from different countries, the Maasai and the Travellers are both nomads. Both face prejudice from the larger society around them and both live in cultures undergoing tremendous change.
But the meeting is also a gamble: they may have nothing to say to each other. There may be just too many differences for any shared feelings or experiences to emerge.
The talk begins slowly, tentatively, with the awkwardness of people who have never met before. Peter explains a little about his people in Kenya: ‘We Maasai are slowly being forced into a lifestyle not our own.
The Government wants to stop us from moving around and is annexing our land. And there is a lot of prejudice against pastoralists in general and Maasai in particular.
People still think of Maasai as not friendly, as lazy and not wanting to change. They do not treat us as equals.
When I walk down the street someone will call out “Hey, Maasai
